Wort des Pfarrers
Am 15. September begehen wir mit dem Männerchor in der Kirche den eidgenössischen Dank,- Buss- und Bettags. Anstelle des Wort des Pfarrers soll deshalb hier das offizielle Bettagsmandat von 1831 stehen. Nicht von der Kirche, sondern von der Regierung verfasst:
„Wir Schultheiss und Rath der Stadt und Republik Bern entbieten allen unseren lieben und getreuen Mitbürgern zu Stadt und Land unsern wohlgeneigten Willen und geben ihnen zu vernehmen:
Dass wir nach der frommen Sitte unserer Väter mit dem sämmtlichen löblichen Ständen der Eidgenossenschaft einen gemeinschaftlichen Dank-, Buss- und Bettag angesetzt haben auf den 8. Herbstmonat nächstkünftig.
Betet und tuth Busse, so ruft uns Gott durch seine Propheten, unser Gott, unser Vater, der seinen eingebornen und geliebten Sohn dahingegeben zur Vergebung für ein sündiges und undankbares Geschlecht. Und lauter und vernehmlicher dringt heute dieser Ruf zur Busse zu uns, da so viele Ereignisse an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnern und unsre Gedanken hinziehen zu dem, der der Menschen Schicksale in seiner Hand hat. Mächtig schwingt der Engel des Todes seine Sichel und zu Tausenden fallen die Kinder des Staubes dahin, menschliche Weisheit vermochte noch keine Schranken zu setzen der verheerenden Seuche, der Allmächtige einzig wird das Ziel ihr setzen. Zerstörend wirkt die Fackel des Krieges in mehr alls einem Lande und schlägt tausendfältige Wunden denen, die davon heimgesucht werden. Die Zwietracht dringt verderbenbringend durch die Nationen und löst die engsten Bande, die für ganze Geschlechter, ja für Jahrhunderte geknüpft waren, ja ganz Europa wankt und sieht mit Bangigkeit der Zukunft entgegen: wohl sind das Tage, die zur Busse rufen.
Noch ist zwar unser Vaterland verschont geblieben bis jetzt von einem Theile dieser Übel, noch sind Krieg und Seuche nicht über dasselbe eingebrochen, dafür lasst uns Gott ernstlich danken, aber nicht bloss durch Worte, sondern durch den Wandel, es gibt keinen aufrichtigen Dank, als der mit Ehrfurcht gegen den Geber und mit treuem Gebrauch seiner Gaben verbunden ist. Eines solchen lebendigen Dankes dürfen wir uns leider noch nicht rühmen: unser Wandel war nicht vor Gott, denn zu den sittlichen Gebrechen, die wir schon früher beklagten, wie Gleichgültigkeit gegen die Religion, Ausgelassenheit, Unzucht, Hoffahrt und Übermuth, sind noch neue hinzugekommen: Ungehorsam gegen die Gesetze, unmässiger Besuch der Trinkstuben, Versäumnis der Berufsgeschäfte und zunehmende Entfremdung vom häuslichen Leben. Aber nicht nur die, welche in diesen Übertretungen ihre Schuld erkennen müssen, sondern wir alle, alle haben gesündigt, in allen Ständen des Volkes, in allen Altern haben wir vielfach gefehlt gegen die Gebote des allmächtigen Vaters, die er den Menschen gegeben zu ihrem Heil, damit sie das ewige Leben gewinnen, haben Strafe und Züchtigung verdient. Darum lasset uns alle aufrichtig Busse thun und flehen zu Gott, dass er uns nicht strafe nach unsrer Schuld, sondern uns verzeihe um seines Sohnes, unseres Heilandes, willen. Bitten wir den Allmächtigen, dass er uns schenke seinen heiligen und guten Geist, damit wir in Zukunft mehr als bisher thun nach seinem Willen.
Pflanzet Gottesfurcht, jeder vorerst in seinem eigenen Herzen, dann in seinem Haus und dadurch unter dem ganzen Volk. Gottesfurcht ist die Grundlage alles Glückes, durch sie bewahrten einst unsere Väter Zucht und Ordnung, durch sie wurden sie arbeitsam, zufrieden, freudig zu jeder Pflicht, durch sie waren sie stark in jeglicher Gefahr und getrost in der Stunde des Todes. Lasst uns ringen nach diesem köstlichen Gute und es wieder einheimisch machen bei uns.
Mit dieser schönen Tugend verbindet sich dann die Nächstenliebe, diese unerlässliche Bedingung innerer Zufriedenheit, durch sie wird das Herz veredelt und das Leben verschönert. O darum lasst uns verbannen aus dem Herzen jegliche böse Leidenschaft, allen Hass, allen Neid, alle Rache, alle Selbstsucht, die uns von dem Reiche Gottes entfernen und durch welche jedes fremde Glück zertrümmert, jedes eigene Gut durch Unmuth wertlos wird, die Liebe und Wohlwollen, damit Gottes Liebe mit euch sey. Helfet, wo ihr zu helfen vermöget, lindert Not und Elend, wo ihr sie findet.
Einen dringenden Aufruf dazu habt ihr in dem unerwarteten, aber grossen Unglück, das einige Gegenden unseres Vaterlandes betroffen hat. Anhaltende Regengüsse und das durch einen lauen Wind herbeygeführte schnelle Schmelzen des Schnees schwellten die Gewässer des Hochgebirges an, dass sie zu furchtbaren Strömen erwuchsen, die Brücke fortschwemmten, Strassen wegrissen, Häuser zerstörten, die Thäler überfluteten und sie an vielen Orten mit Sand und Gestein bedeckten. Wohl eilten wir den Unglücklichen mit dem obrigkeitlichen Beystande zu Hilfe, aber das reicht nicht hin, die Noth ist gross, das Elend mannigfaltig, euer Christensinn, euer liebevolles Herz wird sich auch diesmal bewähren.
Zum letzten Male, liebe Mitbürger, verkündigen wir euch den Bettag, möge unser Ruf bey vielen Eingang finden und den Sinn der Busse wecken, der zu dem ewigen Leben führt.
Wir flehen zu Gott, dem allmächtigen Schöpfer und Vater, dass er auch uns verzeihe nach seiner Langmuth, uns nicht richte nach unserem Verdienst, sondern nach seiner Gnade durch unseren Heiland. Wir flehen zu ihm um seinen Segen für das Land, dem wir bisher vorgestanden sind.
Damit aber der Feyer des Bettages auch die äusserliche Stille entspreche, so verordnen wir, dass sowohl Tags vorher von drey Uhr Abends an, als an heiligem Feste selbst alle Wirts- und Pintenhäuser für jedermann, fremde Reisende ausgenommen, verschlossen seyen.
Gegeben Bern, den 24. August 1831, Kanzley Bern.“
Quelle: Hondwiler Blättli, 3. Quartal 2024