Wort des Pfarrers
… als was er aus der Heiligen Schrift beweisen könne
500 Jahre ist es her, als in die Appenzeller an der Landsgemeinde in Appenzell entschieden haben, dass kein „kein Priester und Prediger fortan etwas anderes lehren solle, als was er aus der heiligen Schrift beweisen könne“. Damit war die Reformation auch im Appenzellerland sozusagen offiziell.
Das lasterhafte Leben vieler Priester und Mönche, sowie die perverse Vorstellung, dass man sich den Himmel kaufen könne, indem man mit Geld für seine Sünden bezahlt, hatten auch bei uns den Boden dafür bereitet.
„Wer dem zuwider handeln würde, der solle das Land verlassen und es solle ihm Mus und Brod zu essen verboten sein“, hiess es weiter in dem Beschluss der Landsgemeinde. Gott sei Dank wurde diese Härte schon bald gemildert! Anders als in vielen Orten der damaligen Eidgenossenschaft, ist im dreizehnten Ort Appenzell die Reformation insgesamt sehr friedlich verlaufen.
An der ausserordentlichen Landsgemeinde vom 6. August 1524 schlug der Hundwiler Jos Schuhmacher vor: „dass man soll in jeglicher Kirchhöri meeren, wellichen Glouben sie wellti annehmen, und was denn die meerer Hand erhalte, dem solle die minder volgen, doch das der Glouben frey syge, und dass keine Partey die ander zu glauben zwinge, sondern wohin ein jeglichen syn gwüssen wyse, dem sölle er nachfolgen, dergstalt, dass wenn es einem in der Kilch nit gfalle, dass er in einer Ander ohne alle Entgeltnuss dürfe gon; man solle aber in einer Kilch nit mer dann ein Gottesdienst üben.“
Diesem Antrag trat die Landsgemeinde einhellig bei. Seither haben die römisch-katholischen (eher im inneren Roden) und die reformierten Christen (eher im äusseren Rhoden) im Appenzellerland ziemlich friedlich nebeneinander ihren Gottesdienst gefeiert und gelebt.
„Non vi, sed verbo“ – „Nicht durch Gewalt, sondern durch das Wort“. Das hatte Martin Luther den übereifrigen Christen gepredigt, welche die Reformation mit Gewalt durchsetzen wollten. Was der Christenheit zur Zeit der Reformation wieder neu geschenkt worden ist, das ist etwas, das man nicht mit menschlicher Macht durchsetzen sollte. Zum Glauben kann und soll niemand gezwungen werden. Das Gewissen eines Menschen ist allein seine und seines Gottes Angelegenheit. Gott selbst hat in Jesus Christus auf seine Macht verzichtet und will durch sein Wort unser Vertrauen und unsere Liebe gewinnen, nicht erzwingen. „Non vi, sed verbo.“ Im Appenzellerland durfte dies wie kaum woanders Wirklichkeit werden. Etwas von dem vielen Guten, dass aus diesem gewaltlosen Wort hat wachsen dürfen, soll in der Ausstellung „Alles Leben strömt aus dir“ (siehe Anlässe) in Erinnerung gerufen werden.-
Es war ein Segen, dass die Reformation hierzulande grösstenteils ohne Gewalt, durch das gepredigte Wort, mit Achtung vor dem menschlichen Gewissen vonstatten gehen durfte. 500 Jahre später feiern wir in unseren Kirchen das Jubiläum derselben. „Non vi“ gilt, Gott sei Dank, auch bei uns noch immer. Wir achten das Gewissen unserer Mitmenschen und sind trotz der kriegerischen Zeiten darin wir leben und der mehr und mehr kriegerischen Töne, die wir von Verantwortlichen zu hören bekommen, immer noch zutiefst überzeugt, dass keiner gezwungen werden soll, etwas gegen seine Überzeugung zu glauben.
Wie aber steht es mit dem „verbo“, „durch das Wort“?-
Die Situation heute ist der damaligen gar nicht so unähnlich. Nicht dass in unseren Kirchen noch Ablasshandel getrieben würde und man gegen Geld sein Seelenheil kaufen könnte (anders in der Klimapolitik, wo man mit CO2 Abgaben ein reines Gewissen kaufen kann….). Doch haben Generationen von Pfarrern durch eine scheinbar „aufgeklärte“ Theologie das Wort Gottes (und damit auch alle anderen Wörter) so sehr verflüssigt, dass es sich an vielen Orten in Luft aufgelöst hat und ein „sed verbo“ „durch das Wort“ kaum mehr möglich ist. Jeder nimmt aus dem Bibelwort das, was ins modernistische Weltbild passt, der Rest wird als voraufklärerisch abgetan und wer solches ernsthaft noch verkündet oder glaubt, mitleidig belächelt.
Heute muss sich kaum noch irgendwo ein Gottesdienstteilnehmer anhören, dass er für seine Sünden in die Hölle kommen könnte. Doch ist das wahr? Entspricht es dem Wort, daraus die Kirche gemäss den Reformatoren ihr Leben hat? Kann es sein, dass die Gnade Gottes zu billig geworden ist? Losgelöst von Leiden und Sterben Jesu Christi, von persönlicher Reue und Umkehr zu Gott, vom Gehorsam gegenüber seinem Wort?-
Ich meine nicht, dass wir Pfarrer den Gemeindegliedern wieder die „Hölle heiss machen“ sollten. Doch scheint mir die Frage angebracht und ernsthaft zu erwägen: „Könnte es sein, dass die Verkündigung eines falschen Gottes, eines Gottes, der seine Gnade verschleudert und sich gar den Menschen anbiedert, die Kirchen so irrelevant hat werden lassen?“
Für die Kirchen in unserem Kanton (und Land) hängt viel davon ab, dass uns nicht nur das „non vi“ „nicht durch Gewalt“ erhalten bleibt, sondern auch das „sed verbo“ „sondern durch das Wort“ wieder neu geschenkt wird. So dass die einzelnen Christen und dann vielleicht auch die Kirchen 500 Jahre nach der Reformation wieder durch das Wort Gottes von innen her reformiert werden.
Pfarrer David Mägli
Quelle: Hondwiler Blättli, 2. Quartal 2024