Vertrauen auf Gott oder kalte Berechnung?

Grusswort des Pfarrers

Der neue Finanzausgleich

Liebe Hundwiler

Vor einem Jahr wurde mit einem deutlichen Mehr die neue Verfassung der evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell angenommen. Das Abstimmungsresultat hat gezeigt: der grossen Mehrheit der Appenzeller Reformierten ist es egal, was ihre Kantonalkirche tut. Nur 14 Prozent hatten abgestimmt, 86 Prozent hatten sich enthalten oder gar nicht gewusst, dass über eine neue Kirchenverfassung abzustimmen gewesen wäre.

Vielen Reformierten ist es scheinbar gleichgültig, dass ihr Steuergeld gebraucht wird, damit die Appenzeller Kirche sich bereits nach 20 Jahren wieder eine neue Verfassung gibt. Ein aufwendiger und kostspieliger Prozess. Die neue Verfassung ist so schlank, dass die meisten wichtigen Dinge in zusätzlichen Reglementen geregelt werden müssen. So kostete nicht nur das Erarbeiten der neuen Verfassung, sondern es kosten auch die vielen neuen Reglemente, welche nun erarbeitet werden müssen, viel Zeit, Kraft und Geld (Geld das unserer Kantonalkirche andernorts mangelt).

Die meisten Kirchgemeindeglieder haben deshalb auch nicht mitbekommen, dass der Heilige Geist Gottes nun nicht mehr in der Verfassung vorkommt. Dieser fatale Missstand macht sich in den neuen Reglementen bemerkbar. Denn darin merkt man nichts mehr von diesem Geist, der Leben schafft und zu vielfältigem Leben frei macht. Im Gegenteil: Am 18. September 2023 werden die Synodalen, die Abgeordneten aller reformierten Appenzeller Kirchgemeinden, abstimmen darüber, dass eine Kirchgemeinde, die weniger als 500 Glieder zählt keinen Rappen mehr aus dem Finanzausgleich erhalten und entweder auf sich allein gestellt sein oder aber fusionieren soll. (Wobei Fusion für die Kleinen meist massive Schrumpfung bedeutet; keinen Pfarrer mehr im Dorf, weniger Unterricht, Gottesdienste, Besuche usw.)

Es ist schon auf politischer Ebene ein trauriges Zeugnis, dass man die Schwachen einfach abschneiden will. Ist doch unser Land nur dank eines solidarischen Föderalismus, darin die Grossen die Kleinen unterstützen, zu seiner einmaligen Blüte gelangt.

Dass nun aber die Kirche selbst diesen Schritt tun will, das ist unheimlich. Denn ihr, der Verkündigerin des Evangeliums, ist es überhaupt zu danken, dass im Herzen von Europa ein Land hat heranwachsen können, das in seiner Verfassung einen solchen vom Evangelium durchdrungenen Satz stehen hat,: „….dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen(Präambel Schweizer Verfassung). Nur Christen konnten so formulieren. Menschen, die an den Gott glaubten, der sich so mit seinen schwachen Geschöpfen solidarisiert, wie der Gott der Bibel das tut. Der Allmächtige, der selbst Mensch wird und leidet, um unserem Leiden ein Ende zu machen.

Friedrich Nietzsche hat diesen barmherzigen Gott gehasst und bekämpft. Als einer der Vordenker und Wegbereiter unseres Zeit hat er schon vor 140 Jahren in Worte gefasst, was seither viele Menschenherzen verdunkelt hat und heute auch bei uns mehr und mehr um sich greift: „Die Schwachen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“

Wenn man das neue Reglement zum Finanzausgleich liest, hat man Grund zur Annahme, dass dieses Denken nun auch in den Kirchen angekommen ist. Natürlich, Nietzsche ging es um einzelne Menschen, (seine Vorstellung des Übermenschen hat der nationalsozialistischen Rassentheorie mit Pate gestanden), hier geht es um schwache Kirchgemeinden. Und doch: Wenn in der Kirche das Vertrauen auf den Gott der Bibel ersetzt wird durch kalte Berechnung und finanzschwache Gemeinden einfach ihrem Schicksal überlassen werden, dann spürt man diesen unbarmherzigen Geist bereits zu deutlich. Da durch die neue Kirchenverfassung die Grundlagen zu solchen Verkehrtheiten unwiderruflich gelegt sind, bleibt nur noch die Möglichkeit, dass die Synodalen der Appenzeller Kirchgemeinden an der Synode vom 18. September 2023 dieses Reglement dem Kirchenrat zur Überarbeitung zurückweisen. Dass dies geschieht, dass statt kalter Berechnung noch einmal das Vertrauen auf Gott und die Solidarität untereinander überhand gewinnt, dazu stehen die Chancen eher schlecht. Doch ist der Gott der Bibel nach wie vor auch der Gott der Geringen und Verachteten, der Gott der „Zukurzgekommenen“ (Nietzsche). Bitten wir ihn, wie wir am 1. August wieder singen werden: „…betet, freie Schweizer, betet“. Vielleicht lässt er sich erweichen.

Pfarrer David Mägli, im Juli 2023

Quelle: Hondwiler Blättli, 3. Quartal 2023